Samstag – der freiste und gleichzeitig stressigste Tag der Woche. Die Arbeitswoche ist rum, der Montag noch ganz weit weg und es ist endlich einmal Zeit, alles zu erledigen, wozu man unter der Woche nicht gekommen ist: Joggen im Park, Einkaufen, Staubsaugen, Wäsche waschen und abends… ja, was eigentlich abends? Normalerweise verbringt man den Samstagabend mit Freunden oder Bekannten irgendwo in einer Kneipe, im Café, im Kino oder wo auch immer.
Nachdem ich alles bis zu den drei Punkten erledigt habe, ist es nun Samstagabend, 22:15 und anstatt irgendwo aus zu sein, verbringe den Abend vor dem Fernseher mit der populären russischen Fernsehshow, die im RTL-Programm wohl „Stars on Ice“ heißen würde. Es ist etwas ähnliches, wie diese Show auf RTL, in der Nichttänzer mit B- und C-Sternchen Standart- und Lateintänze einübten und dann nach und nach von einer Pseudestar-Juri rausgewählt wurden. Nur, dass in der russischen Version die „Stars“ wirkliche Stars/Berühmtheiten sind bis zu ernsthaften Nachrichtenmoderatoren, sie tanzen mit EM- und Olympiasiegern, die Juri auch aus richtigen Stars unter dem Vorsitz einer langjährigen Trainerin der russischen Olympiasieger besteht und die Show selbst nicht von einer Art Michelle Hunziker, sondern vom Sieger der Eislaufeinzelmeisterschaften der letzten Olympischen Spiele, diesem langhaarigen blonden Sibirier, moderiert wird (nebenbei: die Show läuft im ersten Kanal, dem russischen ARD.) Wieso setzen die Russen eigentlich die RTL-Konzepte so viel besser um, als RTL selbst?
Warum aber die Fersehcouch statt der Kneipe mit den neuen Kollegen? Nicht, weil es in Bishkek keine Kneipen oder Cafés (oder Restaurants) gibt, derer gibt es viel mehr als man einem Entwicklungs- oder Transformationsland wie Kirgisien zutrauen würde. Vielmehr, es ist gerade Ramadan, und diese sind ab 19 Uhr so voll, dass man ohne Reservierung keinen Tisch bekommt. Nachdem die Bishkeker also bis 19 Uhr gefastet haben, rennen sie die Türen der Lokale ein und schlemmen alles nach, was sie den ganzen Tag über versäumt haben!
Ich war gestern abend zum Seminarabschluss mit Kollegen gemeinsam essen und durfte so hautnah miterleben, wie also Ramadan in Kirgisien begangen wird: Das türkische Restaurant war bis auf den letzten Tisch voll, die Teller haben kaum auf die Tische gepasst und mancherorts sah man sogar den Alkohol!
Der kirgisische Islam ist gewissermaßen mit der Übernahme westlicher Ideen in China vergleichbar - „Islam kirgisischer Prägung“ sozusagen: Die Aspekte, die man gut fand übernahm man und die anderen, wie das Alkoholverbot zum Beispiel, eben nicht.
Aber warum die Fernsehcouch? Hierzu eine kleine Lektion zu den Grundzügen der kirgisischen Gesellschaftsstruktur:
Mit Mitte Zwanzig sind Krigisen und Kirgisinnen im Allgemeinen schon lange verheiratet und haben mindestens ein Kind. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Assistentin meines Chefs: 24 Jahre alt und hat schon einen fünfjährigen Sohn. Da geht man samstagabends in keine Kneipen mehr!
Die Leute lernen sich also zumeist an der Universität kennen, heiratet mit ca. 20, kriegen Kinder und wenn sie mit der Uni fertig sind, sind die Kinder groß genug, dass man sich um die Karriere kümmern kann. Unser „Kinder oder Karriere“-Problem stellt sich hier irgendwie gar nicht. Wenn man allerdings, so wie ich oder die meisten in meinem Bekanntenkreis, mit Mitte zwanzig noch nicht verheiratet ist … chances are that you won’t somebody to marry you at all, denn „da kann doch etwas nicht stimmen.“ Die Leute lernen sich also kennen und heiraten möglichst schnell (und jung), denn alle zwischenmenschlichen Beziehungen werden von den Eltern sehr sorgfältig kontrolliert. Daher lässt sich auf den dunklen Bishkeker Gehwegen abends ein ähnliches Phänomen beobachten, wie nachts in Shanghaier Parks: Junges Paare, innig ineinander verschlungen, reglos (oder fast reglos) wie für Ewigkeiten verharrt … Jetzt ist es ja noch ziemlich war, aber im Winter gehen die Temperatur bis zu -25°C runter! Wer würde da nicht möglichst schnell heiraten?
1 Comments:
"Let's Dance" hieß die Sendung, übrigens :)
lg
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